ANDREAS TECHLER
   

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  GLANZ UND GLORIA , Cornelia Müller
DAS LEHEN, Johannes auf der Lake
VITALITÄT UND IMPROVISATION , Michael Voets

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GLANZ & GLORIA
THESEN ZUM SCHMUTZ IN DER KUNST VON ANDREAS TECHLER

1. DRECK und SCHMUTZ sind unvermeidliche (?), negativ bewertete bestandteile der zivilisation. je mehr dreck und schmutz produziert wird, desto energischer werden sie aus dem bewusstsein verdrängt. die aufmerksamkeit konzentriert sich darauf, den dreck unbemerkt verschwinden zu lassen, ihn den blicken zu entziehen und gleichzeitig fassadenhaft eine welt der funkelnden, nach frische duftenden reinlichkeit aufzubauen. dreck ist GEHEIM, das bestreben nach sauberkeit steigert sich mit dem produzierten dreck und jede anstrengung nach (oberflächlicher) reinlichkeit bewirkt verschmutzung:je seifenreiner der mensch und seine sichtbare welt, desto verunreinigter die gewässer/das trinkwasser. dreck verschwindet nicht, er verlagert sich bloß. zu spüren ist in diesem zusammenhang die zwangsneurotische tendenz der schmutz-bewältigung.

2. dreck und schmutz sind ausgesprochen KÖRPERNAHE MATERIALIEN. ihre affinität zu den körperausscheidungen und zur sexualität ergibt sich auch aus dem sprachlichen gebrauch: als synonyme für kot und unanständigkeit. die negative bewertung des drecks bewirkt die unzureichende art seiner behandlung, resp. entsorgung. eine umbewertung dessen, was auf dem müll der zivilisation landet, deutet sich im RECYCLING an, wodurch dem abfallprodukt eine verwertbare dimension zugebilligt wird. doch das genügt nicht . die minderbewertung äussert sich noch immer in der preisstruktur des produkts dreck, resp. der durch verschmutzung verursachten schädigungen.

3. WERBUGNG wirbt nicht für produkte, sie ist die plattform des zeitgenössischen welt-entwurfs. das schillernde, saubere, frische, junge, unverbrauchte, unberührte, glänzende, strahlende der werbung täuscht über die "wahre" ware, über den grad der verschmutzung durch das produkt oder dessen herstellung hinweg. werbung entwirft eine welt der SAUBERKEIT, REINHEIT und MAKELLOSIGKEIT, und befriedigt das offensichtlich wichtig gewordene bedürfnis danach. sauberkeit, reinheit, makellosigkeit sind positive (gesellschafts)werte. sie beziehen sich sozusagen auf den "künstlichen" menschen, der nicht scheisst, nicht schwitzt, kein sperma verspritzt. reinheit ist unbeflecktheit und wird mit dem produkt, mit seiner glatten, polierten oberfläche erworben. reinheit ist der eigentlich angestrebte besitz, der sich im ewig jugendlichen, unberührbaren körper der frau spiegelt.

 

 

 

4. mit der reinheit wird die körperlichkeit aufgegeben. reinheit bezieht sich dann auf das geistige, auf den "sauberen" gedanken, das reine gewissen (protestantismus), auf den ZUSTAND DER KÖRPERLOSIGKEIT. der zivilisierte mensch reduziert und eleminiert seine körperlichkeit durch die freiwillig gewählte IMMOBILISIERUNG seiner selbst. bewegungsabläufe werden durch maschinen ersetzt (elektrische zahn-bürsten, rasierapparate, haushaltsgeräte), auf geh- und bewegungshilfen in form von luxuriösen, überdimensionierten PROTHESEN wird kaum mehr verzichtet (autos, rolltreppen, aufzüge), intensive körperzustände werden möglichst unterbunden (klimaanlage, deodorant). die angestrebte immobilität des körpers wird kompensatorisch durch die MOBILITÄT der prothesen ausgeglichen (tourismus). es ensteht der trügerische eindruck, der moderne mensch wäre mobiler, agiler, beweglicher. der verlust seiner körperlichkeit wird noch auf andere weise wett gemacht: durch BODY-BUILDING. der ausdruck ist präzise: ein ersatz-körper wird maschinell gebildet.

5. in der kunst ist ein ähnlicher hang zur reinheit bis hin zur sterilität zu verzeichnen. arbeiten die künstler der ART POVERA, der POP ART, der FLUXUSbewegung noch mit "armen", vorgefunden, körpernahen und lebendigen materialien (rauschenberg/beuys), zelebrierten die vertreter der MINIMAL ART die perfekte reinheit durch kunst als industrie-produkt (judd/flavin). die kühle sauberkeit des kunstobjekts (g.merz/knoebel), seine reinliche, KONZEPTuelle sterotypie (darboven) und die makellose kunstpräsentation in einer exklusiven museumsarchitektur ist mitlerweile zur gewohnheit geworden.

WEISS mutiert zur tranzendierenden farbe (byars,d9) und die avantgardistische kunst bedient sich getreuer abinstallationen des menschlichen körpers zum zeitpunkt seiner abschaffung (borofsky/ray, d9).

6. DRECK ist der potente GEGENENTWURF zur sauberkeit, zur reinheit. TECHLERs kunst arbeitet mit der visuellen qualität des schmutzes. schmutz hat gleichermaßen auch eine haptische qualität (dreckspuren) und eine negativ affektive: EKEL. ekel wiederum hängt elementar/existentiell mit verdorbener nahrung zusammen. kurzum: mit essen und scheissen. der visuelle und haptische charakter des drecks hingegen verbindet sich mit der (sexuellen) LUST des sehen und tastens. TECHLER behandelt den dreck gleichberechtigt mit den anderen materialien seiner kunst . rostablagerungen, kalkrückstände, staubschichten werden nicht entfernt. diese anarchische haltung gegenüber den verwendeten materialien bedingt ein sich-zurücknehmen des künstlers, ein verzicht auf vollständige kontrolle und ein sich-einlassen auf aleatorische prozesse. TECHLER wirkt als DAS das material TRANSFORMIERENDE AGENS.

cornelia c. müller, 1992


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DAS LEHEN

I. „Und Du schreibst über das Haus“

Ich soll über das Haus schreiben ? Über das so genannte Haus ?
Also: „über das Haus“ schreiben ?
Oder aber über das schreiben, also oberhalb von etwas schreiben ?
Oberhalb der Erde das Haus, im Überall, im schwarzen Loch, im Über-All das schwarze Lochhaus ?
Also nicht von dem Haus eine Beschreibung geben, sondern vielmehr viel und mehr : über – das Haus – schreiben ?
Überschreiben, mir überschreiben, mir schriftlich geben, daß es mir gehört ?
Überschreiben, das Haus, das Haus überschreiben, solange über das Haus schreiben, bis es gänzlich überschrieben ist, bedeckt mit as und os und es und ich weiß nicht was ?
Einem Wortberg zum Opfer gefallen, verschüttet unter Worten und Überschreibungen und Überschriften ?
Mit Überschriften oder Überschrift bedeckt ? Also eine Überschrift entwickeln als Überholspur von Schrift, etwas, das über Schrift, Sprache und Sprechen hinausgeht : die Überschrift, oder Metaschrift, oder Metastasenschrift ?
Gefroren bis zum Auftauen und dann überflutend über das Haus schreiben ?
Mir ist es über, ich habe es satt, also nicht mehr über das Haus schreiben ?

 

II. Das Haus

Länge : 51 m. Breite : 6 m Höhe (innen) : 2.20 m. Anschrift : Kölner Straße 170. Lage : N-S Anzahl der Geschosse : 1 im ersten Obergeschoß. Anzahl der Räume : 10. Anzahl der Fenster : 7 x 4 große, 13 kleine. Anzahl der Türen : 14. Anzahl der Treppen : 1 Außen, 1 Innen. Dach : Satteldach, Bretter, Dachpappe. Konstruktion : klassische Baracke. Materialien : Holz. Baujahr : ? ( 60 ? ). Architekt : Standard.
Besitzer : Stadt Düsseldorf. Benutzer : ich (Andreas Techler). Eigner : niemand nach Abriß. Garten : Kirschbaum, Holunder, Taxus, Brombeere. Datum des Abrisses : 1993.

 

 

III. „Mißverständnis – über die häuslichen Werke“

Auch wenn es ein Mißverständnis gewesen sein sollte und ich nicht über das Haus sondern über die häuslichen Werke hätte schreiben sollen – bei Andreas Techler sind Lebensraum und Arbeitsfeld, also „Haus“ und „häusliche Werke“, in künstllerischer Praxis derart eng verflochten, daß eine solche Trennung fast unmöglich scheint.

Über das Haus zu schreiben, heißt also zunächst auch über die Arbeiten an ihm, mit ihm, in ihm zu denken. Etliche der plastischen Arbeiten, die als „häusliche Werke“ in den einzelnen Räumen des Hauses plaziert sind , lagern, versteckt und überlagert sind , leben, verdanken ihre Materialien, Formen, Entwicklungen und Stimmungen dem Haus. So zum Beispiel auch die Elemente des „Scheiterhaufens“, die im Forum Bilker Straße neu installiert worden sind. Zu einem früheren Zeitpunkt einmal verwandt als Leitungssystem eines Heizkreislaufes und außen verlegt (s. Photo „Haus“), hat Andreas Techler nach dem „Tod“ der Wärmeanlage die Außenelemente ins Innere des Hauses geborgen. Dort sind sie zu einem Komplex arrangiert, der den ehemals praktischen Verwendungszusammenhang nicht leugnet, die erloschene Funktionsfähigkeit des technischen Systems jedoch durch die künstlerische Nutzung des eigentlichen Charakters der Elemente als Leitungssystem kompensiert.

Die bloßen Heitzleitungen sind wegen ihrer Entfunktionalisierung und durch das Arrangement als Kreislauf- und Entwicklungsparadigmen zu erkennen. Wie naheliegend und sinnfällig diese Um-, Neu- und Eigeninterpretation des „Leitungsschrotts“ ist, verdeutlicht der photographische Blick Andreas Techlers auf das „Leitungssystem“. Die aufgeschnittenen Rohre, aus der Tiefe des Hauses kommend und in die Tiefe der schwarzen Löcher führend, bilden trotz und gerade wegen ihrer Trennung ein Symbol, mit dem Unendlichkeit , Fortlauf und steter Wandel angezeigt werden. Daß das somit angesprochene Prinzip des Lehens, also des bloß Geliehenen, das sich beständig wndelt und damit entzieht und schlicht nicht besitztbar ist, für das Lehen selbst offenbar nicht gilt (wenn es gilt), ist paradox aber wahr. Deshalb können aber auch die fortlaufenden Fragen über das Haus in die beständigen Antworten der häuslichen Werke weitergeleitet werden.

Johannes auf der Lake

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VITALITÄT UND IMPROVISATION

 

Die Arbeiten von Andreas Techler, im Rahmen dieser Ausstellung vorgestellt, abgestellt, mitunter ruhig gestellt, sind untrennbar verknüpft mit einem permanent gelebten künstlerischen Prozess, der nur durch eine konzentrierte, assoziative Betrachtungsweise dieser Arbeiten nachvollziehbar wird.

Die Kunstproduktion von Techler ist durchsetzt von Dokumentations-, Archivierungs- und Bewahrungsprozessen, zwangsläufigen Folgetätigkeiten einer ungebremsten Sammelleidenschaft. Die Ursprungssituation, die materielle Grundlage, aber auch das spielerische Archiv der möglichen Verknüpfungen zwischen den Gegenständen, befindet sich in dem Depot-Atelier, das der Künstler belebt und in dem er arbeitet. Auf drei Etagen hat Andreas Techler eine labyrinthische Sammlung von Gegenständen zusammengetragen, die nach subjektiven Musealisierungsprinzipien geordnet sind. Bau- und Sanitärteile, Möbelstücke und Beleuchtungskörper, Kostüme, Bücher und Musikinstrumente finden sich in allen denkbaren Variationen - türmen sich zum Teil bis unter die Decke der Halle. Aus diesem Fundus heterogenster Einzelteile lässt der analytische, wertende Blick des Künstlers Beziehungen zwischen den Objekten entstehen. Es werden formale, inhaltliche, praktische oder anekdotische Qualitäten in Bezug zueinander gesetzt, es offenbart sich eine den Gegenständen immanente Vitalität.

Eine weitere intensive Leidenschaft des Künstlers gilt der Musik, insbesondere dem von seinem Ensemble "Anakoluth Ersatz" entwickelten "new free jazz". Der Proberaum, in dem die fünf Musiker ihre expressiven Klanggewitter hervorbringen, bildet das Herzstück von Techlers labyrinthischem Depot-Atelier. Die bedrohliche Zukunftsperspektive, dass ihm die Nutzung dieses Raumes entzogen werden sollte, war Anlass für die Idee der Rekonstruktion des Raumes im Rahmen dieser Ausstellung. Der zweite festgelegte Parameter war der Wunsch, eine bisher nicht realisierte Plastik aus halbkreisförmig angeordneten Waschbecken mit dem Titel "Recycling" fertigzustellen. Alles andere war offen, sollte und mußte improvisiert werden.

Sofern Improvisation als Strategie zu bezeichnen ist, so ist diese Strategie auch die Basis des Musikers Andreas Techler. In der künstlerischen Umsetzung bedeutet Improvisation unvorbereitet mit dem zu arbeiten, was vorhanden ist. Eine Arbeitsweise, die äußerste Konzentration und ein schnelles Reaktionsvermögen fordert. Die gesetzte, als Idee existente Vorgabe, entwickelt ein dynamisches Eigenleben, auf das der Künstler mit dem Repertoire der ihm zu Verfügung stehenden Gegenstände reagiert. Das Ergebnis zeigt sich situationsbezogen, spontan und letztlich unvollendet, weil das so Geschaffene bereits die Keime zu weiteren formgebenden Prozessen in sich trägt.

 

 

Die Entwicklung der Skulpturen, der Auf- und Umbau des Proberaumes, die Wandgliederung und die Stellung der Arbeiten im Raum zueinander, gestalteten sich somit zu einem Prozess, der bis zum Ende der Ausstellung keine endgültige Formulierung finden sollte. Die Zweiergruppe der gleichsam aufs Rad geflochtenen Waschbecken schien sich frei im Raum umher zubewegen, wie Lebewesen auf der Suche nach ihrem angemessenen Platz. Neben dem Proberaum entwickelte sich ein unvorhersehbares Gestrüpp aus Lampenständern. Entlang einer variierenden Reihe verschieden geformter Waschbecken führte eine Bodenplastik aus stoßdämpfenden Gummiplatten. Abgeschnittene Noppen dieser Platten wurden einem harfenähnlichen Objekt zugeordnet, das wiederum als ein Nebenprodukt der Waschbeckenplastiken entstanden war. Auch die Gestalt des Proberaumes war einem steten Wandel unterworfen, bis hin zur Benutzung als Bühne für einen Konzertabend von "Anakoluth Ersatz".

Neben diesen quasi performativen Qualitäten des Ausstellungsensembles, erschlossen sich bei genauer Betrachtung eine Vielzahl anekdotischer, mit Ironie und Witz inszenierter Elemente. So begegnete dem Betrachter beim Eintritt in die Ausstellung die Rückwand des Proberaums in der stilistischen Nüchternheit einer minimalistischen Skulptur. Bekrönt war die seriell strukturierte weiße Wand mit dem Schriftzug "oibutz". Was zunächst an einen bayrischen Kraftausdruck oder an eine gängige Skinhead-Parole erinnerte, ließ sich von der anderen Seite aus als der Schriftzug "studio" lesen. Weitere semantische Exoten fanden sich auf den gelben handgeschriebenen Preisschildern, die, ähnlich einem Furnier, die Schnittkanten der hölzernen Raumkonstruktion bekleideten. Die Preisschilder hat Andreas Techler aus einem Altpapiercontainer gesammelt. Neben bekannten Frucht- und Gemüsearten, alle noch in DM-Währung ausgezeichnet, fanden sich so merkwürdige Sorten wie "Arti Schocken", "Kulturbeeren", "E - Gurken" oder "Fresse Salat".

Die humorvollen Dokumente signalisieren die weitreichende Absence, mit der alltägliche Tätigkeiten ausgeführt werden. Fern aller improvisatorischen Herausforderungen mündet jegliche Routine in einen unbewußten Automatismus, der die Aufmerksamkeit für die Feinheiten benebelt. Dieses Phänomen konstatiert Techler auch auf dem Gebiet der Kunstbetrachtung. Er betreibt ein pointiertes Spiel mit der Rezeption, das er mit den Worten "etwas reinstellen, was keiner bemerkt" umschrieben hat.

Michael Voets, 2002

 


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